Glücksspielsucht als Nebenwirkung: Britischer Multiple-Sklerose-Patient erhält Entschädigung in Höhe von 70.000 GBP
Ein 66-jähriger britischer MS-Patient erhält eine Entschädigung in Höhe von 70.000 GBP (85.000 EUR), nachdem das Parkinsons-Medikament Ropinirol bei ihm eine Glücksspielsucht und weitere schwere Nebenwirkungen hervorgerufen hatte.
Medikament Ropinirol rief schwere Nebenwirkungen hervor
Laut The Independent [Link auf Englisch] sei dem 66-jährigen Briten Philip Stevens eine Entschädigung in Höhe von 70.000 GBP vom National Health Service (NHS) zugesprochen worden, nachdem er jahrelang das Parkinson-Medikament Ropinirol eingenommen habe. Dieses habe bei Stevens zu unkontrolliertem Glücksspiel, Kaufsucht und anderen zwanghaften Verhaltensweisen geführt. Der Betroffene habe laut The Irish Independent [Link auf Englisch] Tausende auf Gambling-Seiten, für teure Kleidung und tagelange Angelausflüge ausgegeben.
Die Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben und zu Leidenschaften wurden, wie Angeln und Pferderennen, machen mir jetzt keine Freude mehr, weil mich bei jedem dieser Dinge ein Schuldgefühl überkommt. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch, der ich vor Ropinirol war. Zusammen mit der Scham über mein zwanghaftes Verhalten hat es mich psychisch ausgelaugt und ich habe mich sehr zurückgezogen. Positiv ist, dass meine Ehe überlebt hat, und ich beginne, mehr nach vorne als nach hinten zu schauen, und vielleicht werde ich eines Tages glauben, dass das, was mir passiert ist, nicht meine Schuld war.”–Philip Stevens, mit Ropinirol behandelter Multiple-Sklerose-Patient, The Independent
Das Medikament habe man ihm 2017 zur Behandlung des sogenannten Restless Leg Syndrome verschrieben, nachdem bei ihm schon 1995 Multiple Sklerose diagnostiziert worden sei. Obwohl der Patient nach eigener Aussage schon vorher in gemäßigtem Ausmaße auf Pferderennen gewettet habe, sei sein Wettverhalten außer Kontrolle geraten, nachdem er mit der Einnahme des Medikaments begonnen habe.
Schwere Fahrlässigkeit vonseiten des NHS
Obwohl die NHS Impulskontrollstörungen als bekannte Nebenwirkungen des Medikaments aufführe und rate, bei etwaigem Auftreten Experten zu konsultieren, sei der Patient darüber nicht informiert worden. Erst nach Jahren habe ein Neurologe die Verbindung erkannt, woraufhin das Medikament abgesetzt worden sei.
Die Risiken von Dopaminagonisten wie Ropinirol
Der Fall wirft erneut ein Licht auf die Risiken sogenannter Dopaminagonisten wie Ropinirol, die bei der Behandlung von Parkinson und anderen Erkrankungen wie Multipler Sklerose eingesetzt werden.
Laut einer umfassenden Studie, die im Journal Frontiers of Behavioral Neuroscience veröffentlicht [Link auf Englisch] wurde, könnten solche Medikamente die Entscheidungsfindung durch ein Ungleichgewicht im Belohnungssystem des Gehirns verändern. Speziell pathologisches Glücksspiel sei in Verbindung mit diesen Medikamenten häufiger bei Parkinson-Patienten zu beobachten.
Die Studie betont, dass Dopamin eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Belohnungen und Bestrafungen spiele. Dopaminagonisten wie Ropinirol können demnach die Balance zwischen Risiko und Verlustaversion stören. Besonders das ventrale Striatum und die Insula, zwei zentrale Hirnregionen, seien davon betroffen. Dies begünstige impulsive Entscheidungen. Ähnliche Nebenwirkungen können bei dem Antipsychotikum Aripiprazol auftreten.
Obwohl seine Spielsucht schon nach wenigen Tagen abgeklungen sei, habe Stevens anschließend für fünf Monate unter schweren Entzugserscheinungen gelitten. Unter diesen seien Halluzinationen, Paranoia, Depressionen und Suizidgedanken gewesen. Laut eigener Aussage habe Stevens sogar die Herkunft seiner Kinder infrage gestellt und diese dazu gedrängt, einen DNA-Test durchführen zu lassen.
Den Schadenersatz, den er nun erhalten soll, habe Stevens einer erfahrenen Anwaltskanzlei zu verdanken. Eine Mitarbeiterin der Kanzlei habe im Hinblick auf den Fall Stevens betont, wie wichtig es sei, Patienten künftig umfassend über Nebenwirkungen und Entzugserscheinungen solcher Medikamente zu informieren.